30 Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen
Am 27. August jährt sich zum 30. Mal das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Aus diesem Anlass ruft ein breites Bündnis zu einer bundesweiten Demonstration in Rostock-Lichtenhagen auf. Fünf Tage lang wütete im August 1992 ein rassistischer Mob in Rostock-Lichtenhagen gegen das „Sonnenblumenhaus“ und die Menschen, die sich darin aufhielten. Unter den Augen der Polizei und angefeuert von Anwohner:innen griffen sie immer wieder die im „Sonnenblumenhaus“ untergebrachte Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber:innen mit Steinen und Brandbomben an. Lichtenhagen war nicht der erste massive rassistische Gewaltausbruch. Schon seit Ende der 1980er Jahre hatten CDU und CSU die „Asylfrage“ auf die Tagesordnung gesetzt. Ihre Kampagne zur Abschaffung des Asylrechts gewann nach der „Wiedervereinigung“ an Wucht und befeuerte rassistische Gewaltexzesse gegen Geflüchtete, die im September 1991 mit den Ausschreitungen in Hoyerswerda einen ersten Höhepunkt erreichten.
Aufruf zur bundesweiten Demonstration: Damals wie heute: Erinnern heißt verändern! 30 Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 27. August 2022 – 14 Uhr – Rostock-Lichtenhagen
30 Jahre nach dem rassistischen Pogrom werden wir am 27. August 2022 gemeinsam in Rostock-Lichtenhagen auf die Straße gehen. Denn rassistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen bis heute Hand in Hand. Dem Erinnern muss ein Handeln folgen.
Rostock im August 1992. Im Stadtteil Lichtenhagen werden über drei Tage hinweg Geflüchtete und ehemalige Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam angegriffen. Die Polizei schreitet gegen den zeitweise aus mehreren tausend Menschen bestehenden Mob kaum ein und zieht sich schließlich ganz zurück. Die Angreifer:innen werfen daraufhin Brandsätze in das Haus. Mehr als 120 Menschen retten sich über das Dach des Gebäudes. Bis heute scheut sich die Hansestadt Rostock dieses Pogrom klar als solches zu benennen.
● Wir fordern: Den Angriff in Lichtenhagen 1992 als rassistisches Pogrom benennen! Das brennende Sonnenblumenhaus ist bis heute ein Symbol rechter Gewalt. Aber nicht nur hier und nicht nur 1992 werden unzählige Menschen durch rechte und rassistische Gewalt verletzt, getötet und traumatisiert – Lichtenhagen war und ist kein Einzelfall.
● Wir fordern: Rassistische Gewalt benennen und bekämpfen! Dem Pogrom in Lichtenhagen vorausgegangen ist eine jahrelange Kampagne zur Verschärfung des Asylrechts durch konservative Parteien. Im Nachgang des Ereignisses gab es für Asylsuchende keinen besseren Schutz, sondern Abschiebungen und Lagerunterbringung. Die Asylgesetzverschärfungen trafen wie die rassistische Debatte im Vorfeld besonders Rom:nja. Die betroffenen ehemaligen „Vertragsarbeiter:innen“ führten wie viele ihrer ehemaligen Kolleg:innen jahrelange Kämpfe um ihr Bleiberecht.
● Wir fordern: Abschiebestopp und Bleiberecht für Rom:nja und alle Betroffenen rassistischer Gewalt! Wenige Monate nach dem Pogrom, im April 1993, wird das Aufnahmelager Nostorf-Horst errichtet. Statt Geflüchtete vor rechter Gewalt zu schützen, werden sie fortan im Wald isoliert. Weitab von Einkaufsmöglichkeiten und anderer Infrastruktur leben hier seitdem Menschen für Monate oder Jahre. Das Lager in Nostorf-Horst kann als Prototyp der Erstaufnahmeeinrichtungen verstanden werden, aus denen Geflüchtete direkt abgeschoben werden können.
● Wir fordern: Dezentrale Unterbringung jetzt! Auflösung der Aufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst und aller Sammellager! Gegen rechte Gewalt und staatlichen Rassismus kämpfen seit Jahrzehnten viele Menschen, zum Beispiel in migrantischen Selbstorganisationen, als Antifas oder in lokalen Gedenkinitiativen. Dabei ist ein selbstbestimmtes Gedenken Betroffener wichtige Voraussetzung für Aufarbeitung und Erinnerung.
● Wir fordern: Perspektiven und Forderungen Betroffener in den Mittelpunkt stellen! Der Kampf gegen Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus darf sich nicht auf einzelne Jahrestage beschränken. Rostock wurde etwa zehn Jahre nach dem Pogrom auch Schauplatz eines NSU-Mordes. Die Verstrickungen des NSU in MV sind bis heute unzureichend aufgearbeitet. Das Gedenken muss mehr sein als ein kurzes Innehalten. Erinnerung braucht Räume, Orte und Widerstand. Wir müssen uns der Namen der Opfer erinnern.
● Wir fordern: Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg! Wir werden in Lichtenhagen gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung auf die Straße gehen. Wie es die Aktivist:innen in Hanau formulieren:
Erinnern heißt verändern!